BESUCH  VOM  HERBST  DES  LEBENS

Wenn der Herbst des Lebens an die Tür klopft,
sich freundlich und zurückhaltend vorstellt,
sagt: „Wir sollten miteinander reden“,
und dabei lächelt, als wüsste er,
was ihn hinter der Tür erwartet,
sollte man ihn hereinbitten und
ihm ein Glas seines besten Weines anbieten.
Er wird nicht viel Neues berichten.
Ganz sicher darüber sprechen, dass längst
Bekanntes nun seine Zeit hat und
wie man am besten damit umgehen kann.
Dabei wird er lässig im Sessel sitzen,
gemütlich die Beine übereinandergeschlagen,
sich neugierig umschauen und die Dinge sehen,
die er erwartet hat und je nach dem,
wie er sich fühlt, wird er schnell gelangweilt
oder ermuntert sein, ein lockeres Gespräch zu führen.
Was er nun ausgerechnet an diesem Tag von dir will,
weiß keiner. Das weiß er selbst nicht.
Sagen wir mal so: Er macht seinen Job.

Das Gute an ihm ist, dass er keine Angst macht
oder Panik verbreitet. Eher das Gegenteil.
Er mag die Ruhe und die Ausgeglichenheit.
Wenn du ihm sympathisch bist,
lässt er dir ein bisschen von beidem zurück,
gerade so viel, dass man nicht an Zahlen denkt,
wenn man ihm noch einmal begegnet.
Biete ihm ruhig ein zweites Glas Wein an und
frage ihn, ob er ein Käse- oder Wurstbrot haben will.
Er wird sich freuen, denn er ist viel unterwegs und
nicht immer verlaufen seine Besuche harmonisch,
freundschaftlich und friedlich.
Nicht jeder freut sich über seinen Besuch,
oft ist das Gegenteil der Fall und eine Begegnung
endet mit bösen Worten und Türenschlagen.

Wenn der Herbst dann aufsteht,
ein kleines Bäuerchen macht
und sich nochmal wohlwollend
die Bilder an den Wänden ansieht,
dann kannst du sicher sein, dass er dich
in freundlicher Erinnerung behalten wird.
Mehr kann man vom Herbst des Lebens nicht erwarten.

©2025, Jörg Reinhardt

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