MÄNNER  LEGEN  SICH  AB  EINEM  GEWISSEN  ALTER  GERNE  MAL  KURZ  HIN

Zwei Getränkekisten und den restlichen Einkauf
zwei Stockwerke nach oben geschleppt.
Was vor zehn Jahren ein willkommenes Krafttraining war,
ist zum Kraftakt geworden.
Die morgendliche Gymnastik,
vom Arzt dringend empfohlen,
wird zur Geduldsprobe,
denn Mann ist nicht gewohnt,
mit einem Dehnband hinter dem Kopf
entwürdigende Verrenkungen zu machen.
Die Arbeit, die getan werden kann oder muss,
hat den Enthusiasmus des Anpackens verloren,
ganz zu schweigen davon, dass die Motivation
häufig nur flüchtig winkend vorbeigeht.
Das Kulturprogramm beschränkt sich immer öfter
auf die Sportschau mit angeschlossenem Bierkonsum und
gelegentlicher Aufregung darüber, „Wilsberg“-
oder „Tatort“- Wiederholungen zu zählen.

Immer diese Müdigkeit, obwohl der Schlaf regelmäßig
gegen 23 Uhr die Kontrolle übernimmt, sodass ein
aufgeschlagenes Buch im Nachttischlampenlicht
nur noch eine schwache Alibifunktion hat.
Immer dieses Gefühl nach dem morgendlichen Erwachen
noch weitere Stunden in Liegeposition verbringen zu wollen,
um sich nicht dem Alltag stellen zu müssen,
der ja gar nicht mehr so viel abverlangt,
was natürlich vehement abgestritten wird,
denn gerade im Rentenalter hat man doch angeblich viel zu tun.
Jahrelang wurden Projekte verschoben,
bis man endlich Zeit und Muße hat,
seine Kreativität auszuleben,
ein ganz anderer Mensch zu werden,
durchzustarten, der Welt zeigen,
dass es keine Frage des Alters ist,
im Rampenlicht zu stehen,
sondern der inneren Einstellung.

Das kann zweifellos alles sehr gesund sein.
Dass sich der Körper etwas wehrt,
manchmal sogar die Gefolgschaft verweigert,
nicht an Rekorden oder
ähnlichen Heldentaten interessiert ist,
lässt den Mann abwägen, ab einem
gewissen Alter etwas zurückzuschalten,
kürzer zu treten.
Was dann aber wie eine Kapitulation aussieht
und eigentlich überhaupt nicht geht,
wenn man nicht ein verschrumpeltes, grauhaariges,
oder gar glatzköpfiges Weichei werden will.

Deswegen geht man also mit den
zwei Getränkekisten gleich nochmal hinunter,
um die zwei Stockwerke erneut zu erklimmen.
Training muss sein, das gehört sich so.
Und danach legen sich Männer
ab einem gewissen Alter
gerne mal kurz hin.
 ©2024,Jörg Reinhardt, Berlin


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