WEIHNACHTSZEIT  MIT  ANSCHLAG

In einem privaten Bezahlsender
zeigen sie in der Weihnachtszeit
jeden Abend drei Weihnachtsfilme.
Hintereinander.
Nur mit Werbepause.
Kitsch und heile Welt am Fließband,
144 Filme insgesamt.

Zwischen zwei Filmen schalte ich auf die Nachrichten.
In einer mitteldeutschen Stadt gab es einen Anschlag.
Ein Auto fuhr auf dem Weihnachtsmarkt
in eine Besuchergruppe.
Tote und Verletzte.
„Alle Jahre wieder“, würde einem Zyniker einfallen,
so weit ist es schon.
Ich schalte zurück zum Weihnachtsfilm.
Sollte mich schämen, tue es nicht,
fühle mich nicht wie das letzte Arschloch
oder als unsensibler Ignorant.
Ich flüchte, bin nicht schuldig,
nicht betroffen, habe Mitleid
und falle ins Leere.

Das ist nicht die Welt,
in der ich mich frei fühlen,
Verantwortung übernehmen
und die Zukunft mitgestalten kann.
Ich kann es einfach nicht und
tauche in die kleine Kiste
mit der Weihnachtswolle ein, die mich wärmt
und mich bis zum letzten Herzschlag
mit Träumen versorgt.
So lange, bis alles verschwunden ist.

©2025, Jörg Reinhardt, Lindow

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